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Epilepsie

Unter Epilepsie versteht man ein Krankheitsbild mit wiederholt auftretenden epileptischen Anfällen (mindestens 2), die nicht durch eine vorausgehende erkennbare Ursache hervorgerufen wurden. Ein epileptischer Anfall ist die klinische Äußerung einer abnormen und exzessiven Entladung von Nervenzellverbänden im Gehirn. Er ist charakterisiert durch plötzlich auftretende und vorübergehende Erscheinungsformen wie Änderung des Bewusstseins, motorische Ereignisse (Zuckungen, Verkrampfung oder Versteifung der Muskeln), Veränderungen der Wahrnehmung und des Gefühls, die möglicherweise nur vom Patienten oder auch einem Beobachter wahrgenommen werden. Einzeln auftretende epileptische Anfälle sind von dieser Definition ausgenommen und werden auch als "Gelegenheitsanfälle" bezeichnet.

Zur Diagnosestellung wird neben der Erhebung der Krankengeschichte immer eine Hirnstromkurve (Elektroenzephalogramm, EEG; siehe Elektroenzephalografie) abgeleitet. Auch bildgebende Untersuchungen gehören zur Routinediagnostik, während speziellere Verfahren besonderen Fragestellungen vorbehalten sind. Die Behandlung besteht zunächst in der Gabe von krampfunterdrückenden Medikamenten (Antikonvulsiva). In therapieresistenten Fällen kommen auch andere spezielle Verfahren bis hin zur Epilepsiechirurgie zum Einsatz. Eine Epilepsie hat für den Betroffenen vielfältige Auswirkungen auf das Alltagsleben, die in der Behandlung ebenfalls Berücksichtigung finden sollten.

Anfallsformen

Die verschiedenen Verlaufsformen der epileptischen Anfälle werden nach der Definition der Internationalen Liga gegen Epilepsie (ILAE) wie folgt eingeteilt.

Generalisierter Krampfanfall

Ein Anfall wird als generalisiert bezeichnet, wenn der Verlauf und die Symptome keine Hinweise auf eine anatomisch begrenzte Lokalisation geben und keine Zeichen eines fokalen (herdförmigen) Beginns zu erkennen sind. Die generalisierten Anfälle werden in 3 Untertypen unterteilt.

  • konvulsive Anfälle, der typische ?große? Anfall mit Bewusstseinsverlust, Sturz, Verkrampfung und anschließend rhythmischen Zuckungen beider Arme und Beine (tonisch-klonischer Anfall), aber auch Verlust der Spannung der Muskulatur (atonischer Anfall) oder krampfhaft gesteigerte Spannung der Muskulatur (tonischer Anfall).
  • nicht konvulsive generalisierte Anfälle, die Absence-Anfälle mit kurzer Bewusstseinspause ohne Sturz, früher auch französisch mit Petit-mal bezeichnet.
  • myoklonische Anfälle, bei denen einzelne oder unregelmäßig wiederholte Zuckungen einzelner Muskelgruppen auftreten.

Partieller (fokaler) Krampfanfall

Ein anderer Ausdruck hierfür ist auch Herdanfall. Diese Anfallsform ist dadurch gekennzeichnet, dass es ein Zeichen für einen Beginn des Anfallsgeschehens in einer umschriebenen Region des Gehirns gibt. Dabei ist es egal, ob es zu einer sekundären Ausbreitung auf die restliche Hirnrinde kommt (sekundäre Generalisierung). Insbesondere ein Anfallsbeginn mit einer Aura hat einen hohen Aussagewert, in welcher Hirnregion der Anfall seinen Ursprung hat, denn sie sind das Ergebnis einer umschriebenen Aktivierung von Nervenzellverbänden.
  • Wenn der Patient beim Anfall wach ist und angemessen auf seine Umgebung reagiert, wird der Anfall einfach partiell genannt.
  • Wenn das Bewusstsein eingeschränkt ist und eine Erinnerungslücke oder Verwirrtheitszustände während des Anfalls oder danach auftreten, wird der Anfall komplex partiell genannt.
  • Bei manchen Anfällen kann man keine Unterscheidung zwischen einfach und komplex partiell treffen. Dann nennt man ihn partiellen Anfall unbekannten Typs.
  • Weitet sich das Anfallsgeschehen nach herdförmigen Beginn zu einem generalisierten Anfall aus, so nennt man ihn komplex partiellen Anfall mit sekundärer Generalisierung.

Multiple Anfallsformen

Wenn bei einem Patienten sowohl generalisierte als auch partielle Anfälle auftreten, so muss jeder Anfallstyp beschrieben werden.

Unklassifizierte Anfälle

Diese Kategorie soll nur benutzt werden, wenn aufgrund fehlender Information das Anfallsgeschehen in keine der anderen Kategorien eingeordnet werden kann.

Ursachen von Epilepsie

Schon der Einteilung der Epilepsien lässt sich entnehmen, dass diese Gruppe von Erkrankungen Ausdruck von unterschiedlichen Krankheitszuständen des Gehirns sein kann und sich keine einheitliche Ursache benennen lässt. Grundsätzlich lassen sich aber drei Gruppen von zugrundeliegenden Ursachen unterscheiden:

  • Symptomatische Epilepsien sind die Folge einer nachweisbaren Hirnschädigung (Fehlbildung, Narbe, Tumor o. ä.).
  • Bei den idiopathischen Epilepsien liegt eine erbliche Veranlagung zugrunde.
  • Findet man keine der beiden vorgenannten Ursachen, nennt man die Epilepsie kryptogen.

Angaben über die relative Häufigkeit der unterschiedlichen Gruppen schwanken von Studie zu Studie und sind natürlich z. B. davon abhängig, mit welchen Untersuchungsmethoden nach Hirnschädigungen gesucht wurde. In der Ära vor Einführung der Computer- oder der Magnetresonanztomografie lag der Anteil der Epilepsien, bei denen man keine Ursache fand entsprechend höher. Aber auch bei den symptomatischen und kryptogenen Epilepsien spielen Erbfaktoren durchaus ein Rolle, wenn auch ihr Beitrag zur Entstehung von epileptischen Anfällen sehr viel geringer ist als bei den idiopathischen Epilepsien.

Diagnostik

  • An erster Stelle steht, wie bei allen anderen Erkrankungen auch, die Erhebung der Krankengeschichte (Anamnese). Bei Epilepsie-Patienten sollte hierbei besonderes Augenmerk neben dem familiären Auftreten von Epilepsien und anderen Erkrankungen des Nervensystems auf Vorerkrankungen gerichtet sein, die möglicherweise eine symptomatische Epilepsie verursachen. Dazu gehören Störungen und Risiken in der Schwangerschaft, Probleme unter der Geburt, die zu einem Sauerstoffmangel führen, Unfälle mit Schädel-Hirn-Trauma oder entzündliche Erkrankungen des Zentralnervensystems.
  • Darauf folgt die körperliche Untersuchung insbesondere des Nervensystem mit Untersuchung von Kraft, Gefühl (Sensibilität), Reflexen, Hirnnervenfunktion, Gleichgewicht und Koordination.
  • Laboruntersuchungen aus dem Blut dienen zum einen dem Erkennen von möglichen Ursachen symptomatischer epileptischer Anfälle (z. B. Unterzuckerung, Mineralstoffmangel). Zum anderen überwacht der behandelnde Arzt unter einer medikamentösen Therapie die Menge des Medikamentes im Blut (Medikametenspiegel oder Therapiespiegel) wie auch mögliche Nebenwirkungen (Blutbild mit Blutplättchen, Leberenzyme, Nierenfunktion, Blutgerinnung, Calcium-Phosphat-Stoffwechsel).
  • Durch eine Elektroenzephalografie (EEG) kann die Bereitschaft des Gehirns zu epileptischen Entladungen direkt angezeigt werden. Dazu bekommt der Patient eine Art Kappe mit Elektroden in definierten Abständen aufgesetzt, von denen über einen Wechselspannungsverstärker die elektrische Oberflächenaktivität der Hirnrinde abgeleittet wird. Zur routinemäßigen Ableitung bei der Fragestellung nach einer Epilepsie gehört die Aktivierung mit Hyperventilation und Photostimulation. Im Rahmen der Erstdiagnostik dient das EEG vor allem der Einordnung des Anfalls bzw. der Epilepsie und der Lokalisation des Herdes bei herdförmigen Anfällen. Bei speziellen Fragestellung können auch Langzeitableitungen z. B. über 24 Stunden (Langzeit-EEG) oder Ableitungen mit gleichzeitiger paralleler Videoaufzeichnung des Patienten (Video-Doppelbild-EEG) durchgeführt werden.
  • Dagegen leitet die Magnetoenzephalographie (MEG) die magnetische Aktivität des Gehirns mit hoher zeitlicher und räumlicher Auflösung ab. Es handelt sich hierbei aber um eine sehr aufwändige, teure und neue Methode, die vor allem der exakten Lokalisation von epilepsieauslösenden Hirnarealen dient.
  • Die cerebrale Computertomografie (CCT) ist eine spezielle Röntgenschichtuntersuchung und war das erste bildgebende Verfahren, mit dem auslösende gröbere Veränderungen am Hirngewebe gefunden werden konnten. Seine Vorteile liegen in der schnellen Verfügbarkeit und der Wirtschaftlichkeit. Da seine Auflösung der Gewebeveränderungen am Gehirn aber anderen Methoden unterlegen ist, hat sie auch wegen der mit ihr verbunden Strahlenbelastung an Bedeutung verloren. In der Magnetresonanztomografie (MRT bzw. MRI) werden die Bilder durch wechselnde, starke Magnetfelder erzeugt. Die Darstellung hat eine deutlich höhere Auflösung und einen besseren Kontrast zwischen grauer und weißer Substanz. Für spezielle Fragestellungen insbeondere in der prächirurgischen Diagnostik steht die Funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRI) zur Verfügung, mit der spezielle Hirnfunktionen den zugehörigen Rindenarealen zugeordnet werden kann.
  • Bei Neugeborenen und Säuglingen kann auch durch eine Ultraschalluntersuchung des Gehirns durch die offene Fontanelle Hinweise auf anatomische Abweichungen gewonnen werden.
  • Mit Positronen-Emissionstomografie (PET), Flumazenil-PET und Single Photon Emission Computed Tomography (SPECT) stehen weitere Spezialverfahren zur Verfügung mit denen vor allem epilepsieauslösende Herde genau lokalisiert und im Falle prächirurgischer Diagnostik neurologische Ausfälle durch die Operation abgeschätzt werden können.

Behandlung

Ziel der Behandlung bei Epilepsien ist die völlige Anfallsfreiheit ohne oder zumindest mit möglichst wenig Nebenwirkungen. Bei Kindern soll durch die Therapie darüberhinaus eine unbeeinträchtigte Entwicklung gewährleistet werden. Allen Patienten soll eine Lebensform ermöglicht werden, die den Fähigkeiten und Begabungen gerecht wird. Dabei ist zwichen der Akutbehandlung eines epileptischen Anfalls und der Dauerbehandlung zu unterscheiden. Diese Therapieziele werden in erster Linie durch eine geeignete Pharmakotherapie erreicht. Mit Hilfe einer Monotherapie mit Valproinsäure, Carbamazepin oder einem anderen Antiepileptikum gelingt es in circa zwei Drittel der Fälle die Anfälle zu kontrollieren. Bei den übrigen Patienten spricht man von einer pharmakoresistenten Epilepsie. Der zusätzlichen Einsatz weiterer Antiepileptika (Add-On-Therapie) führt bei pharmakoresistenten Epileptikern zwar nur sehr selten zur dauerhaften Anfallsfreiheit (etwa 10 %), jedoch sind Teilerfolge, wie z. B. eine reduzierte Anfallsfrequenz oder mildere Anfallsformen, erzielbar.

Bei pharmakoresistenten Epileptikern sollte ebenfalls frühzeitig geprüft werden, ob sie geeignete Kandidaten für einen epilepsiechirurgischen Eingriff sind. Die Epilepsiechirurgie kann mittlerweile - bei pharmakoresistenten fokalen Epilepsien - die Epilepsie ?heilen?, wenn das epileptogene Areal im Hirn genau identifizert werden kann und operabel ist. Die Chance auf Anfallsfreiheit durch einen epilepsiechirurgischen Eingriff liegt je nach Befundkonstellation bei 50-80 %.

Zu einem umfassenden Behandlungskonzept gehört aber auch eine Aufklärung und Beratung bis hin zur Patientenschulung, die Anleitung zur Anfallsdokumentation gegebenenfalls durch Führen eines Anfallstagebuchs und Hilfen zur Integration in Familie, Schule, Beruf und Gesellschaft.

Akutbehandlung

In der Regel ist kein Eingreifen nötig und der Anfall endet nach (maximal) wenigen Minuten von selbst. Viele Epileptiker empfinden es sogar als unangenehm und belastend, wenn bei einem "einfachen" Anfall der Rettungsdienst gerufen oder gar eine Klinikeinweisung veranlasst wird. Die nötigen Hilfsmaßnahmen bestehen regelmäßig in der Verhinderung von Verletzungen (Abpolstern, Entfernen von umgebenden Gegenständen, kein Festhalten, kein Mundkeil). Auf jeden Fall therapiebedürftig ist der Status epilepticus. Wenn mehrere Anfälle kurz hintereinander erfolgen, sollte dringend ärztliche Hilfe angefordert werden.

Ein akuter epileptischer Anfall kann jedoch auch Medikament|medikamentös durch Antikonvulsivum|Antikonvulsiva aus der Gruppe der Benzodiazepine unterbrochen werden. Unter diesen haben sich insbesondere Lorazepam, Diazepam, Clonazepam, Midazolam und Nitrazepam in der Akuttherapie etabliert, wobei Lorazepam die längste antikonvulsive Wirkung, bei gleichzeitig geringerer sedierender Wirkung als die anderen Substanzen. Sowohl für Lorazepam als auch für Diazepam gibt es Darreichungformen, die man als Laie entweder in die Wangentasche oder den Enddarm einführen kann. Für die Dauerbehandlung sind diese Arzneistoffe jedoch weniger geeignet, da sie bei regelmäßiger Einnahme insbesondere zu einer psychischen Abhängigkeit führen können.


Dauerbehandlung

Zur Vorbeugung epileptischer Anfälle haben sich in erster Linie Valproinsäure, Carbamazepin und sein Ketoanalog Oxcarbazepin etabliert. Carbamazepin gilt dabei als Mittel der Wahl zur Dauerbehandlung fokaler Anfälle, während Valproinsäure bei der Dauerbehandlung primär generalisierter Anfälle bevorzugt wird. Als Monotherapeutika stehen darüber hinaus die klassischen Breitspektrum-Antiepileptika Phenytoin, Phenobarbital und Primidon mit allerdings recht ungünstigem Nebenwirkungsprofil zur Verfügung. Eine spezielle Gruppe von Epilepsien des Kindesalters, die benignen idiopathischen Partialepilepsien, werden bevorzugt mit Sultiam behandelt. Ihre Effekte erzielen diese Arzneistoffe über eine Erhöhung der Reizschwelle durch Hemmung von Natrium-Ionenkanälen (Valproinsäure, Carbamazepin, Oxcarbazepin und Phenytoin) bzw. durch eine Aktivierung von GABA-Rezeptoren (Phenobarbital und sein Prodrug Primidon) im Zentralnervensystem.

Da die Monotherapie epileptischer Erkrankungen bei einem Teil der Patienten nicht zu einem befriedigenden Ergebnis führt, kann eine Therapie unter Verwendung eines Zusatztherapeutikums mit einem ergänzenden Wirkmechanismus erwogen werden. Als Zusatztherapeutika haben sich die GABA-Analoga Gabapentin, Tiagabin und Vigabatrin, welche die GABA-Konzentration im Gehirn erhöhen, etabliert. Alternativ stehen die Ionenkanal hemmenden Suximide Mesuximid und Ethosuximid, Lamotrigin, Felbamat und Topiramat zur Verfügung.

Nach längerer Zeit der Anfallsfreiheit - wenigstens zwei Jahre - kann in Abhängigkeit vom Risiko des Wiederauftretens von Anfällen und den möglichen psychosozialen Auswirkungen erneut auftretender Anfälle einerseits und den wahrgenommenen Beeinträchtigungen durch die Therapie andererseits auch ein ausschleichendes Beendigen der medikamentösen Therapie erwogen werden. Zahlreiche Studien haben das Risiko des Wiederauftretens von Anfällen nach Beendigung der Medikamenten-Behandlung untersucht. Zusammengefasst besteht eine Chance von etwa 70 % für eine dauerhafte Anfallsfreiheit ohne Medikamente wenn
  • eine Anfallsfreiheit von 2-5 Jahren bestand,
  • nur ein Anfallstyp bestand,
  • eine normale Intelligenz und ein normaler neurologischer Befund besteht und
  • sich das Elektroenzephalogramm unter der Therapie normalisiert hat

Die Informationen dienen der allgemeinen Weiterbildung. Sie können in keinem Falle die ärztliche Beratung, Diagnose oder Behandlung ersetzen.
Bei gesundheitlichen Beschwerden sollten Sie ärztlichen Rat einholen.

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